Reinheit, Feuer & Glanz

Stobwasser & Roentgen - Kunsthandwerk von Weltrang

Von Bernd Willscheid

18.6.2013

Lackwaren 

 

 

 

 

 

 

Das Roentgen-Museum Neuwied zeigt bis zum 18. August 2013 eine Ausstellung mit über 300 Kunstwerken, die der bekannte Stobwasser-Kenner Detlev Richter aus München zusammengestellt hat. Das Museum will hiermit vor allem an die
bedeutende, vor etwa 250 Jahren in Braunschweig gegründete Lackmanufaktur Stobwasser erinnern, die damals auch mit Neuwied in enger Verbindung stand. 
Zahlreiche, mitunter erstmals öffentlich präsentierte und mit kostbarer Malerei verzierte Schnupftabaksdosen aus Papiermaché, Tabletts und andere Gebrauchsgegenstände aus Museums- und Privatbesitz werden einer Auswahl von Schatullen und kostbaren Möbeln der Roentgen-Manufaktur gegenübergestellt. Sie alle geben einen beeindruckenden Einblick in die Zeit vom späten 18. bis hin zur Mitte des 19. Jahrhunderts.

 

Die zahlreichen Leihgaben kommen aus dem Museum für Lackkunst in Münster, dem Museum Schloss Fasanerie bei Fulda in Eichenzell, dem Heimatmuseum der Stadt Herrnhut, dem Unitätsarchiv Herrnhut, der Richard Borek Stiftung in Braunschweig sowie aus bedeutenden Privatsammlungen und aus Kunsthandelsbesitz. Sie werden ergänzt um Stücke der Roentgen-Manufaktur aus dem Besitz des Roentgen-Museums und aus Privatsammlungen

Der Name Stobwasser steht bis heute für Kunsthandwerk von höchster Qualität. Die künstlerisch hochwertigen Lackkunst-Arbeiten sind bis heute gesuchte Sammelobjekte. Den Anfang des Unternehmens bildete eine vom Braunschweiger Herzog geförderte und von Sigismund und seinem Sohn Johann Heinrich Stobwasser 1763 in Braunschweig gegründete »Fabric von lakirten Waren«. Schon 1773 entstand in Berlin auf Einladung Friedrichs des Großenvon Preußen ein Zweigunternehmen, das ab 1818 zur Firmenzentrale aufstieg.

Als Grundmaterialien stobwasserscher Arbeiten dienten in erster Linie das in aufwendigem Verfahren hergestellte Papiermaché, gewalztes Eisenblech, Holz und vor allem der glasklare, von Stobwasser selbst erfundene Lack aus geriebenem Bernstein und Kopalharz. Besondere Sorgfalt erfuhr jeweils die von hervorragenden Künstlern geschaffene Malerei, die entweder von hauseigenen oder freien Malern in Öl-Lacktechnik ausgeführt wurde. Unter diesen lassen sich so bekannte Namen wie Pascha Johann Friedrich und Friedrich Georg Weitsch, Heinrich Brandes, Carl Schröder, Johann Christian Tunica und Franz Ludwig Catel finden, aber auch der Universalkünstler Karl Friedrich Schinkel arbeitete nachweislich für Stobwasser. Die gleichbleibend hohe Qualität der Malerei auf den Objekten wurde vor allem durch die bei Stobwasser in der eigenen Malschule ausgebildeten Künstler garantiert.

Stobwasser                                 Stobwasser

Der gemeinsamen Mitgliedschaft in der Herrnhuter Brüdergemeine ist es zu danken, dass die Familien Stobwasser und Roentgen zusammenfanden. Die bedeutendsten Vertreter des in Neuwied am Rhein betriebenen Kunsthandwerksunternehmens, das sich zur erfolgreichsten und innovativsten Möbeltischlerei des 18. Jahrhunderts entwickelte, waren Abraham und David Roentgen. Die von ihnen hergestellten, weltweit begehrten und teuer bezahlten Luxusmöbel aus edelsten Materialien und mit praktischer raffinierter Mechanik dienten nicht zuletzt auch der Stobwasser-Manufaktur als Vorbild für ihre Arbeiten. Familiäre Verbindungen ergaben sich durch die Heirat des Sohnes David Roentgens, Philipp Jakob, mit der Tochter Stobwassers, Henriette, und der zweiten Verheiratung der Witwe David Roentgens, Dorothea, mit Johann Heinrich Stobwasser. 

Roentgen                                  Verwandlungstisch

Die Familien Stobwasser und Roentgen kannten sich bereits, bevor sie zweimal in Verwandschaft traten. Sie waren Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine, einer evangelischen Religionsgemeinschaft, die ihre Beziehungen weit über die damaligen Landesgrenzen hinaus pflegte. Des Weiteren produzierten beide Familien in ihren Manufakturen Luxusgüter für den Adel und das gehobene Bürgertum – in Neuwied Möbel und in Braunschweig, später auch in Berlin, Lackwaren aller Art -, die für ihre Qualität und ihr Dekor europaweit bekannt waren. Diese Gemeinsamkeiten der Familie Stobwasser und Roentgen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.

Die Herrnhuter Brüdergemeine

Vor allem die Herrnhuter Brüdergemeine beeinflusste das Leben und Wirken von Johann Heinrich Stobwasser (1740-1829) sowie David Roentgen (1743-1807) und dessen Vater Abraham (1711-1793).Diese aus dem Pietismus hervorgegangene evangelische Religionsgemeinschaft strebt ein Leben in der Nachfolge Christi und streng nach dessen Lehren an. Brüderlichkeit im Sinne der Bergpredigt Jesu, gegenseitige Unterordnung und das „Füreinander-Dasein“ regelt den Alltag. Zu den Eigenarten und Besonderheiten zählen das als Bekenntnisbuch geltende Gesangbuch, die als „Versammlungen“ bezeichneten Gottesdienste in schlichten Kirchsälen, die seit 1731 verbreiteten, bis heute weit über den Bereich der Brüdergemeine hinaus geschätzten Losungen – Bibelworte und Liedverse zur täglichen Erbauung – sowie im 18. Jahrhundert die Losbefragungen in persönlichen Krisen- und Entscheidungssituationen: Man war überzeugt, dass sich in dem gezogenen Wort der Wille Gottes zeige.

Die Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine geht auf die Böhmischen bzw. Mährischen Brüder zurück, eine im 15. Jahrhundert aus den Anhängern des Reformators Jan Hus (gest. 1415) hervorgegangene religiöse Gemeinschaft in Böhmen und Mähren. Eine kleine Gruppe deutschsprachiger Böhmischer Brüder flüchtete nach Sachsen und ließ sich 1722 auf dem Gut des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760) bei Großhennersdorf in der Oberlausitz nieder. Die dort entstandene Kolonie erhielt den Namen „Herrnhut“ (In der Hut des Herrn = unter dem Schutz Gottes). Von Hernnhut kam es zu Gründungen weiterer Gemeinden, so Herrnhaag im hessischen Wetterau. Die ledigen „Brüder und Schwestern“, wie die Herrnhuter sich noch heute nennen, wohnten getrennt in sogenannten Chorhäusern, in denen sie gemeinsame Unternehmen, sozialistische Gewerbe, einrichteten, so in Neuwied eine Töpferei, eine Uhrmacherei sowie eine Gold- und Silberschmiede. Wirtschaft und Handwerk entwickelten sich zu hoher Blüte.

Durch Zinzendorf hatte die Gemeinde Anteil an der Bildungskultur des Adels, seinen guten Beziehungen, seiner kosmopolitischen Orientierung und seiner großzügigen Lebenseinstellung; Eigenschaften, von denen auch die Möbelkünstler Roentgen sowie die Lackwarenfabrikanten Stobwasser profitierten und die den Aufstieg beider Werkstätten zu europaweit bekannten Manufakturen fördern sollten.

Abraham Roentgen und Johann Heinrich Stobwasser werden Herrnhuter

In dieses religiöse Gefüge trat der 1711 in Mülheim am Rhein (heute ein Stadtteil von Köln) geborene Abraham Roentgen, Gründer der später so bedeutenden Neuwieder Möbelmanufaktur, ein. Aus einer protestantischen Familie stammend, n er sich 1731 bis 1738 nach einer Schreinerlehre bei seinem Vater Gottfried (um 1675/80-1751) auf Wanderschaft in die Niederlande und nach London.

In London hörte Abraham Roentgen die Herrnhuter predigen und trat 1737 der Brüdergemeine bei. Nach einer gescheiterten Missionsreise nach Nordamerika ließ er sich mit seiner jungen Frau Susanna Maria Bausch (1717-1776) auf dem Herrnhaag, der jungen Siedlung der Brüdergemeine bei Büdigen in der Hessischen Wetterau nieder.

Ähnlich verhielt es sich bei Johann Heinrich Stobwasser. Aufgewachsen in Lobenstein im Vogtland, Residenz der dem Pietismus nahestehenden Grafen Reuß-Lobenstein, wurde er als Sohn einer protestantisch-lutherischen Familie schon früh angehalten, „ein christliches Leben zu führen“. Die Familie lebte von bescheidenem Kurzwarenhandel, bis Johann Heinrich, der seinen Vater auf Verkaufsreisen begleitete, in Ansbach die dort hergestellten hochwertigen Lackwaren kennenlernte. Mit 17 jahren gelang dem experimentierfreudigen jungen Mann die Produktion eigener Lackwaren, die mit dem späteren Umzug der Fabrikationsstätte nach Braunschweig und Berlin europaweiten Ruhm erlangen sollte.

Ein Aufenthalt in Berlin Angang des Jahres 1768, wo er die Lackierung einiger Staatskarossen übernommen hatte, brachte ihm die Bekanntschaft mit dort lebenden Gemeinemitgliedern, und trotz anfänglichen Zögerns schloss er sich der Brüdergemeine an. 1774 ehelichte er die der Brüdergemeine nahestehende Sophie Gersting (gest. 1809), Tochter eines nicht unvermögenden Hannoverschen Hoftischlers.

Aufstieg der Unternehmen Roentgen und Stobwasser

Wie Stobwasser in Braunschweig seine Manufaktur, so gründete Abraham Roentgen auf dem Herrnhaag 1742 eine kleine Kunstschreinerei, in der er geschnitzte und intarisierte Möbel nach englischem Vorbild mit einfachem holztechnischem Innenausbau fertigte. Erste Kunden waren Gemeindemitglieder und Gemeindeanstalten sowie namhafte Gäste, auch Adlige, die die Kolonie Herrnhaag besichtigten. Die Präsentation und der Verkauf sienr Arbeiten auf der leicht erreichbaren Frankfurter Messe taten ein Übriges. Diese Messe bedeutete auch für Johann Heinrich Stobwasser eine Werbe- und Absatzmöglichkeit, die er bereits in den 1750-er Jahren nutzte.

Der Tod des Landesherrn, des der Brüdergemeine wohlgesonnenen Graf Ernst Kasimir I. von Ysenburg-Büdingen (1687-1749), führte zur Auflösung der Siedlung auf dem Herrnhaag. Eine kleine Gruppe von 42 Personen fand 1750 in Neuwied am Rhein, der erst 1653 gegründeten, wirtschaftlich aufstrebenden und von  Religionstoleranz geprägten Residenzstadt des Grafen Friedrich Alexander zu Wied-Neuwied (1706-1791), eine neue Zufluchtsstätte. Zu dieser Gruppe zählte Abraham Roentgen und seine Familie. In Neuwied baute er seine Werkstatt wieder auf, und diese entwickelte sich dort, vor allem auch unter seinem Sohn David, zu einer Möbelmanufaktur von hohem Rang. Auch am Mittelrhein zählte sehr schnell die Oberschicht zu den Kunden Roentgens. Stolzer Besitzer seiner mit Marketerien (Mosaikbilder in gefärbten Hölzern) sowie prächtigen Inneneinrichtungen ausgestatteten Möbel wurde der Graf zu Wied oder der Kurfürst und Erzbischof von Trier.

Eine geschäftliche Krise nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) unterbrach den steilen Aufstieg der Neuwieder Möbelmanufaktur in den 1760er-Jahren. Erst die 1768/69 von seinem jungen, innovativen Sohn David durchgeführte Hamburger Möbellotterie befreite die Familie und den Betrieb von allen finanziellen Schwierigkeiten. David sah hierin eine Chance, die Werkstatt zu sanieren sowie seine künstlerischen und technisch raffinierten Möbel weit über die Mittelrheinregion hinaus bekannt zu machen. Der wirtschaftliche Erfolg war gegeben, sein Ausschluss aus der Brüdergemeine 1768 war der Preis.

Fand die Familie Roentgen in dem wiedischen Grafen einen Beschützer und Förderer, so erhielt Stobwasser Unterstützung durch  Herzog Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1713–1780) und Herzogin Philippine Charlotte (1716–1801), eine Schwester Friedrichs des Großen.

Abraham Roentgen           David Roentgen            Marmorbüste

Gleich Abraham und David Roentgen, die beide England besucht hatten, war auch Stobwasser von dortiger Kunst und Kunstgewerbe beeinflusst. So finden sich Parallelen bei der Möbelproduktion der beiden Manufakturen, beispielsweise bei den beliebten Tee- und Tabakkästchen, den kleinen Salontischchen oder bei Schreibmöbeln. Schmücken kostbare und aufwendig hergestellte Blumen- und Landschaftsmarketerien oder feuervergoldete Bronzen die Roentgenmöbel, so dekorierte Stobwasser seine Möbel mit qualitätsvoller Öl-Lackmalerei von nicht unbedeutenden Künstlern. Ob ein reger Austausch zwischen den Werkstätten in Neuwied und Braunschweig stattfand, bedarf einer näheren Untersuchung. Der Ruhm David Roentgens, der sich mehrmals in Braunschweig aufhielt, war dort sicher bekannt. 

Gleich Roentgen, der von Neuwied aus die europäischen Fürstenhöfe zwischen Paris und St. Petersburg belieferte, verkaufte auch Stobwasser seine Lackwaren in die fernsten Gegenden Europas. Einen Transport seiner besten Waren und Gemälde nach St. Petersburg begleitete er auf dem von Braunschweig aus besser zu erreichenden Seeweg und nicht wie Roentgen mit schwer beladenen Pferdewagen auf den oft schwierig passierbaren Landstraßen. Seine »Braunschweiger Pfeifenköpfe« aus Papiermaché wurden bis nach Ungarn und in die Türkei exportiert. Dem erfolgreichen Verkauf folgten bedeutende Bestellungen.

Gehobene Schulbildung als Voraussetzung für den Erfolg

Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen war den Herrnhutern immer ein großes Anliegen. Ihre Internatsschulen genossen zu damaligen Zeiten einen hervorragenden Ruf.

David Roentgens intensive Schulbildung in Bildungsanstalten der Herrnhuter ging weit über das Maß hinaus, das in einer damaligen Handwerkerfamilie üblich war. Musische, naturkundliche und humanistische Fächer zählten zum Unterricht. Er erlernte die französische Sprache. Das hohe Ansehen der Herrnhuter Schuleinrichtungen veranlasste sogar der Brüdergemeine nahestehende Adelsfamilien, ihre Söhne dort unterzubringen.

Früher Kontakt zum Adel und das Erlernen der in vornehmen Kreisen auch in Deutschland vorherrschenden französischen Sprache waren wichtige Voraussetzungen für Roentgens spätere Geschäftsabwicklungen und für seinen unaufhaltsamen Erfolg. In den Schlössern und großen Häusern trat er selbstbewusst auf, entsprechendes Benehmen und die am Hof übliche Unterhaltung waren ihm nicht fremd. Selbstverständlich korrespondierte er in deutscher und französischer Sprache mit Fürsten, hohen Hofbeamten und Intellektuellen. Auch die Bedeutung der von Künstlern entworfenen mythologischen Szenen und Sinnbilder auf den Marketerien und Bronzen seiner Möbel kannte er dank seiner gehobenen Bildung. „Ein kluger Kopf, ein Mann von Geist und Welt“, bemerkt 1785 ein anonymer Schreiber aus Neuwied.

Erste Eheschließung zwischen den Familien Roentgen und Stobwasser

Auch Johann Heinrich Stobwasser ließ seinen Kindern in Erziehungsanstalten der Brüdergemeine eine gehobene Ausbildung zukommen. Christian Heinrich (1780–1848), der Älteste, der ursprünglich Theologie studieren sollte, besuchte die Knabenanstalt in Kleinwelka und das Pädagogium in Barby. Nach einer Weiterbildung in England und Frankreich folgte er dem Vater als Geschäftsführer. Der jüngere Sohn, Ludwig Heinrich (1785–1832), wurde ebenfalls in Internaten der Brüdergemeine erzogen und studierte anstelle seines älteren Bruders Theologie. Die 1778 in Braunschweig geborene Tochter Henriette erhielt seit 1783 ihre Erziehung in der Mädchenanstalt in Kleinwelka. Dort wirkte sie ab 1798 selber als Lehrerin und Erzieherin, eine der wenigen Berufsmöglichkeiten für eine Frau Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 1804 heiratete sie den ältesten Sohn des Möbelkünstlers David Roentgen, den Pädagogen und Theologen Philipp Jakob Roentgen, und schenkte diesem sechs Kinder. 1841 starb sie 62-jährig in der Herrnhuter Gemeine in Christiansfeld (Dänemark).

Herrnhutertum als Voraussetzung für den Geschäftserfolg

Mit der Fertigstellung seines prächtigen Hauses 1774 in der Pfarrstraße in Neuwied begründete David Roentgen dort seine eigene Werkstatt. Der väterliche Betrieb auf der anderen Straßenseite bestand noch bis 1775, anschließend war David alleiniger Inhaber der später europaweit bedeutenden Möbelmanufaktur. Hervorragende Mitarbeiter fertigten Möbel von höchstem Rang und nach den neuesten Modetrends im Rahmen einer fortschrittlichen Betriebsorganisation, rationeller Arbeitsverfahren mit ausgesuchten Werkstoffen und guten Werkzeugen. Der Neuwieder Meister konkurrierte mit den tonangebenden Pariser Ebenisten und brach deren europäische Vorrangstellung. Versehen mit Hoftiteln und Ehrenämtern, lieferte er seine Möbel nach Paris, Brüssel, Berlin und schließlich nach St. Petersburg an seine beste Kundin, die russische Zarin.

Der Aufstieg der Roentgens entspricht nicht einer typischen Handwerkerkarriere des 18. Jahrhunderts, im Gegenteil, er bildet eine Ausnahme. So erlaubte es die Befreiung vom Zunftzwang durch die Grafen zu Wied, mehr als zwei Gesellen zu beschäftigen, berufsfremde Tätigkeiten auszuüben und ein Marketing außerhalb des Zunftbereiches zu betreiben. Bei Roentgens Kundschaft handelte es sich um Mitglieder der höfischen Gesellschaft, der es um Repräsentation und Herrschaft sowie um die Ausstattung ihrer Paläste ging. Zollbefreiung für »Fürstengut« erlaubte Roentgen freien und ungehinderten Transport zu seinen Kunden.

Der Reingewinn wurde als »Seegen Gottes« verbucht. Angemessene Preise für einwandfreie Ware sowie die Garantie für Qualität und Preiswürdigkeit standen für die Wirtschaftsethik der Brüdergemeine. Man arbeitete so, als wäre Gott in der Werkstatt gegenwärtig – laut Michael Stürmer eine „Gewerbeaufsicht und Qualitätskontrolle höherer Art“. Brüderlicher Umgang war die Vertrauensgrundlage für eine weitgehende Delegation von Führung und Verantwortung. Auch für Johann Heinrich Stobwasser war die Mitgliedschaft in der Herrnhuter Brüdergemeine mit ihrer pietistischen Religiosität eine wichtige Voraussetzung seines Erfolges. Das Gelingen seiner Geschäfte stellte er „Gott anheim“. In Gott sah er dankbar seinen besten Werkmeister, seine Produkte fertigte er in höchster Qualität. Berichten zufolge erschallten während der Arbeitszeit in seiner Werkstatt, die in ihrer Blüte ähnlich der Roentgen-Manufaktur auf eine Zahl von 80 Personen angestiegen war, geistliche Lieder. Die Religion verlieh ihm „Geistesstärke und einen Muth sonder Gleichen“ und rüstete ihn mit „außerordentlicher Thätigkeitskraft“, besonders in Krisenzeiten. Vor allem aber fand er bei den Herrnhutern seinen inneren Frieden.

Geschäftsaufgabe und Wiederaufnahme David Roentgens in die Brüdergemeine

Blieb Johann Heinrich Stobwasser bis zu seinem Tod der Herrnhuter Brüdergemeine eng verbunden, so war David Roentgen zwei Jahrzehnte aus der Neuwieder Gemeine ausgeschlossen.  Seine  Wiederaufnahme wurde mehrmals abgelehnt. Wie Hans-Jürgen Krüger durch intensive Quellenforschung im Fürstlich Wiedischen Archiv in Neuwied feststellen konnte, waren es nicht in erster Linie die Auswirkungen der Französischen Revolution vom 14. Juli 1789, die zur Beendigung der Produktion in der Roentgen-Manufaktur führten, „vielmehr war Davids Entschluss religiös begründet und verfestigte sich bereits vor der Revolution.“ Wieder aufgenommen wurde er schließlich am 19. Juni 1791. Im gleichen Jahr war auch die Möbelproduktion eingestellt worden.

Die nahenden Revolutionskriege Mitte der 1790er-Jahre zwangen die Roentgens zur Flucht aus Neuwied. Als émigré mit ehemaligem Verkaufsmagazin in Paris und der abgesetzten französischen Königsfamilie als früherem Kunden musste er die Stadt vor den anrückenden Franzosen verlassen. Siedlungen der Herrnhuter in Thüringen boten der Familie über Jahre hinweg eine Herberge.

David Roentgens Lebensabend

1801 konnten die Roentgens nach Neuwied zurückkehren. Die Werkstatt blieb geschlossen. Seinen Lebensabend verbrachte er als vermögender Rentier in Neuwied. Den Lebensunterhalt bestritt er aus den Zinsen seines Vermögens sowie Zahlungen aus früheren Kreditverkäufen. 1807 verhandelte David in Wiesbaden mit dem neuen Landesherrn, dem Herzog von Nassau, dem nach der Mediatisierung der Fürsten zu Wied 1806 deren Gebiete zugefallen waren. Die Sonderrechte, die die Neuwieder Fürsten den Herrnhutern zugestanden hatten, wurden vom neuen Landesherrn bestätigt. Während dieser Verhandlungen verstarb David Roentgen am 12. Februar 1807 in Wiesbaden.

Wurde Abraham Roentgen nach seinem Tod am 1. März 1793 auf dem Gottesacker in Herrnhut, wo er seine letzten Jahre verbracht hatte, beigesetzt, so fand David seine letzte Ruhe auf dem Friedhof »an der Heidenmauer« in Wiesbaden. Sein Grabstein steht seit 1937 auf dem neuen städtischen Friedhof in Neuwied, nicht weit entfernt vom Gottesacker der Brüdergemeine.

Stobwassers zweite Ehe mit David Roentgens Witwe

1810 bestimmte Johann Heinrich Stobwasser seinen ältesten Sohn Christian Heinrich zu seinem Nachfolger als Leiter der Betriebe in Braunschweig und Berlin. So konnte er sich mehr seinen religiösen Interessen widmen. Nachdem seine Ehefrau Sophie Elisabeth bereits 1809 verstorben war, ging er im Alter von 72 Jahren am 3. Juni 1812 eine zweite Ehe ein und heiratete auf Vorschlag seines Schwiegersohns Philipp Jakob Roentgen dessen Mutter, Katharina Dorothea, die Witwe des 1807 verstorbenen Kunsttischlers David Roentgen nicht zuletzt „seiner körperlichen Pflege wegen“.

In erster Ehe gebar die als Katharina Dorothea Scheurer geborene Pfarrerstochter acht Kinder, von denen jedoch nur drei Söhne das Erwachsenenalter erreichten. Neben der Haushaltsführung in Neuwied hatte sie David Roentgen auf mehreren Geschäftsreisen begleitet, so auch 1785 und 1789 nach St. Petersburg. Die nun erneut verheiratete Frau Stobwasser zog nach Braunschweig und pflegte ihren zweiten Mann in harmonischer Ehe fast 14 Jahre bis zu ihrem Tod im Jahr 1825. Johann Heinrich Stobwasser sollte ihr erst vier Jahre später folgen.

Auch im Alter betrachtete Stobwasser Braunschweig als seinen Wohnort. In der dortigen Diaspora hielt er engen Kontakt zu den Freunden der Brüdergemeine. In seinem Haus verstarb er am 31. August 1829. Seine Beisetzung erfolgte auf dem Gottesacker der Michaelis-Kirche in Braunschweig.

Luxuswaren als Botschaft für die Welt

Das gesamte Wirken Abraham und David Roentgens sowie Johann Heinrich Stobwassers war geprägt von der Herrnhuter Brüdergemeine mit ihren internationalen Verbindungen, ihrer Berufs- und Arbeitsethik, ihrer engen Verbundenheit und der Religion als Mittelpunkt. Wie ihre Mitbrüder fühlten sich die Roentgens und sicher auch Stobwasser als »privilegiert«. David Roentgens höhere Schulbildung und sein selbstsicheres Auftreten an Europas Fürstenhöfen bestärkten dies. Gleich den zahlreichen Missionsreisen der Herrnhuter bis nach Übersee übernahmen er und auch Johann Heinrich Stobwasser weite, abenteuerliche Transportfahrten zu ihren Kunden in West- und Osteuropa. Die Herstellung und den Verkauf ihrer Waren sahen beide – wie alle herrnhuter Handwerker ihre Beschäftigungen – als eine Gott geweihte und aus einer „gottesdienstlichen Haltung heraus verrichtete“ Tätigkeit an. Ihre Produkte, kostbare, aufwendig und in höchster Qualität hergestellte sowie in ihrer Modernität wegweisende Luxuswaren für die damalige europäische Elite, bedeuteten für sie wohl eine Art »Evangelium«, das, einer Mission gleich, in die ganze Welt getragen werden sollte. 

Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des mit einem ausführlichen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat versehenen Aufsatzes „Roentgen und Stobwasser – Pietistische Unternehmer von Weltrang“ in: Detlev Richter und Bernd Willscheid, Reinheit, Feuer & Glanz – Stobwasser und Roentgen – Kunsthandwerk von Weltrang. Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Roentgen-Museum Neuwied, 21. April – 18. August 2013, Berlin 2013.

Roentgen-Museum     

        Reinheit, Feuer und Glanz
      Stobwasser und Roentgen -
      Kunsthandwerk von Weltrang

      Roentgen-Museum-Neuwied
      21.4.-18.8.2013

       www.roentgen-museum-neuwied.de

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