Das Roentgen-Museum Neuwied

Von Bernd Willscheid
13.10.2013

Roentgen-Museum

„David Roentgen’s Name ist den Kunstfreunden rühmlich bekannt. Deutschland hat um so mehr Ursache, auf diesen großen Künstler stolz zu seyn, da andere Nationen in der Art nichts ähnliches aufweisen können. Er verfertigte ohnlängst für den König von Frankreich ein mechanisches Kabinett für 3300 Schild-Louisd’or und erhielt das Prädikat „ebéniste-méchanicien du Roi et de la Reine de France“.
Johann Bernouli, Direktor der Berliner Akademie, 1784
Der Name der Stadt Neuwied, der Wirkungsstätte der Roentgens, entwickelte sich zu einem Begriff für auserlesene Möbelproduktion, ähnlich wie Meissen für erstklassiges Porzellan. Gelehrte, Wissenschaftler und Künstler, nennen wir Goethe, Lavater oder Basedow, sogar der preußische König besuchten die damals noch junge Residenz der wiedischen Grafen und Fürsten und besichtigten die Roentgen’sche Manufaktur.

Neuwieder Möbel, im 18. Jahrhundert an Europas Fürstenhöfen in aller Munde, wurden hochgeschätzt wegen ihrer qualitätsvollen Verarbeitung, ihrer zu damaliger Zeit hochmodernen Gestaltung und nicht zuletzt ihrer technischen Raffinessen. Der Adel zwischen Paris und St. Petersburg nutzte sie als Statussymbol, als „Dekorum der höfischen Gesellschaft in Mittel-, West- und Osteuropa“ (Michael Stürmer).

Einzigartig und weltweit einmalig ist die Sammlung von Roentgen-Möbeln im Roentgen-Museum Neuwied, die durch Prunkuhren in Zusammenarbeit mit der Neuwieder Uhrmacherfamilie Kinzing ergänzt wird. Sie gibt einen hervorragenden Einblick in die höfische Wohnkultur des Rokoko und Klassizismus, in die galante Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Abraham Roentgen, Gründer der Neuwieder Möbelmanufaktur, war 1711 als Sohn eines Schreiners in Mülheim am Rhein (Köln-Mülheim) geboren. Bei seinem Vater absolvierte er die Lehre, nachdem ihn seine Gesellenwanderschaft nach Holland und nach London führte. Dort sammelte er wichtige künstlerische Eindrücke, die sich im Stil seiner Möbel niederschlugen. 1737 schloss er sich in London der Herrnhuter Brüdergemeine an, die fortan sowohl sein privates Leben, als auch seine Arbeitsethik bestimmte.

Auf dem Herrnhaag, einer Herrnhuter Siedlung in der hessischen Wetterau, gründete Abraham 1742 eine kleine Kunstschreinerei, zu deren ersten Kunden Gemeindemitglieder und Gemeindeanstalten zählten. Beziehungen der Herrnhuter zum Adel nutzte er, um mit den in der Wetterau beheimateten Grafenhäusern geschäftlich in Verbindung zu treten. Eine wichtige Verkaufsmöglichkeit bot die Frankfurter Messe, bei der Roentgen jedes Jahr seine Möbel präsentierte.

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1750 wurde die Herrnhuter Gemeine aus Herrnhaag ausgewiesen. Abraham Roentgen und weitere 40 Herrnhuter zogen nach Neuwied, der noch jungen Residenz der Grafen, später Fürsten zu Wied. Hier entwickelte er zusammen mit seinem talentierten Sohn David eine eigene Schreinerkunst. In seiner Werkstatt entstanden Möbel mit sonst unerreichten malerischen Einlegearbeiten in Mosaikverfahren (Marketerien) und raffinierten Innenleben. Der Trierer Kurfürst und Erzbischof Johann Philipp von Walderdorff wurde sein wichtigster Kunde.

Nach 1775 war Abraham Roentgens geschäftstüchtiger Sohn David alleiniger Inhaber der später europaweit bedeutenden Möbelmanufaktur. Abraham entschloss sich einige Jahre später zum Umzug in die Brüdergemeine in Herrnhut/Sachsen. Dort starb er hochbetagt im Jahre 1793.

Der 1743 auf dem Herrnhaag geborene David Roentgen trat mit sechs Jahren in ein Internat der Herrnhuter ein. Dem Schreinersohn wurde so eine Bildung ermöglicht, die selbst im gehobenen Bürgerstand nicht üblich war. Im Betrieb des Vaters erlernte er anschließend das Schreinerhandwerk. Auf einer Reise nach London konnte er sich 1766 über die zukunftsweisende englische Betriebsführung informieren, und in Paris studierte er 1774 die neuesten Modetrends sowie die Möglichkeiten eines weiteren Absatzmarktes. David Roentgen war es, der den väterlichen Betrieb 1769 durch die Organisation einer Möbellotterie in Hamburg aus der finanziellen Krise rettete.

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Mit unternehmerischem Geschick und gezielten Marktstrategien erweiterte er den Handwerksbetrieb zur großen Manufaktur mit entsprechender Arbeitsteilung. Die Qualität seiner Produkte verstand er durch die Einbindung bedeutender Mitarbeiter zu steigern: Der kurtrierische Hofmaler Januarius Zick lieferte die Motive für die kostbaren Einlegearbeiten. Der Komponist Christoph Willibald Gluck schrieb in Paris und in Wien auf Bestellung Kompositionen für die Musikwerke der Uhren und Möbel. Der ebenfalls in Paris lebende Vergolder François Rémond brachte die teuren Beschläge der Roentgenmöbel zum Leuchten. Die Neuwieder Uhrmacher Christian und Peter Kinzing entlockten Roentgens Uhren mit kunstvoller Mechanik zarte Melodien.

David Roentgen wurde Hoflieferant des französischen Königs Ludwig XVI. und der Königin Marie Antoinette. In Paris eröffnete er ein Verkaufsmagazin. Der Mode entsprechend fertigte er in Deutschland die ersten klassizistischen Möbel an und belieferte mit einem weitgefächerten Vertriebsnetz zahlreiche europäische Könige und Fürsten. Die russische Zarin Katharina die Große war seine bedeutendste Kundin.

Die Französische Revolution, der sich ändernde Lebensstil im ausgehenden 18. Jahrhundert, aber auch religiöse Gründe veranlassten David Roentgen, die Produktion in Neuwied 1791 zu beenden. Nach den Revolutionskriegen lebte er als Privatier in Neuwied. 1807 starb er unerwartet  während einer Reise nach Wiesbaden an den Hof des Herzogs von Nassau.

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Die Roentgen-Manufaktur beschäftigte in ihrer Blütezeit 80-100 Mitarbeiter. In einem Brief spricht David Roentgen sogar von 200. Über 2000 Möbel entstanden, von denen 600-800 Stück heute bekannt sind und sich in europäischen sowie amerikanischen Museen, Schlössern und privaten Kunstsammlungen befinden. 

Das Roentgen-Museum in Neuwied zeigt in seiner prächtigen Beletage eine einzigartige Sammlung von rund 50 Roentgenmöbeln und Kinzinguhren. Zahlreiche Schreibmöbel mit verspielten Inneneinrichtungen und technischen Raffinessen, Verwandlungstische, die Roentgen 1795 in der ersten deutschen, in Weimar erschienenen  Modezeitung, dem Journal des Luxus und der Moden den „Geschäftsmännern, welche oft, viel und anhaltend schreiben müssen“, als sehr bequem empfiehlt, Kommoden mit kostbaren Einlegearbeiten und vergoldetem Bronzedekor, Stühle, aber auch Schatullen, die der Aufbewahrung von Tee oder Tabak dienten, geben einen hervorragenden Einblick in die Vielfalt der Neuwieder Produktion. Herausragend ist die „Apollouhr“, eine prachtvolle Musikuhr David Roentgens, die er zusammen mit dem Neuwieder Uhrmacher Peter Kinzing 1789 angefertigt und an den russischen Zarenhof geliefert hat.

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Portraits der Grafen und Fürsten zu Wied im 17. und 18. Jahrhundert sowie Ansichten und Pläne der Stadt Neuwied dokumentieren die Gründung und frühe Entwicklung der barocken Residenzstadt Neuwied. Die religiöse Toleranz des Landesherrn Graf Friedrich Alexander zu Wied ermöglichte den Zuzug der Herrnhuter Brüdergemeine, der auch die Familie Roentgen angehörte. Möbel des Barock und Rokoko sowie des Biedermeier im frühen 19. Jahrhundert und des Jugendstils um 1900 ergänzen die Roentgen- und Kinzing-Sammlung. Zusammen mit Gemälden, Grafiken und kunstgewerblichen Gegenständen geben sie einen Einblick in die Wohnkultur dieser Epochen.

In einer museumspädagogisch und multimedial aufbereiteten Präsentation erfährt der Besucher weiter von den Lebensstationen „Vater Raiffeisens“, auf den die heutigen Raiffeisen-Genossenschaften und Raiffeisen-Banken zurückgehen. 1852 wurde Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) Bürgermeister in Neuwied-Heddesdorf. Die Not der Bevölkerung im Westerwald veranlasste ihn, als Hilfe zur Selbsthilfe verschiedene Vereine und Genossenschaften zu gründen. Aus der Idee Raiffeisens, dessen Name heute weltbekannt ist, entwickelte sich eine internationale und leistungsfähige Organisation. Die mit Möbeln und Hausrat aus der Zeit Raiffeisens eingerichteten Westerwaldstuben bilden eine wichtige Ergänzung zum sozialgeschichtlichen Umfeld des großen Genossenschaftsgründers. Die Besucher erhalten somit auch einen Einblick in das Leben der „einfachen“ Leute, weit entfernt von der Klientel für Roentgen-Möbel oder Kinzing-Uhren.

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Das Roentgen-Museum Neuwied wurde 1928 in einem nach Plänen der Kölner Architekten Mattar und Scheler errichteten Gebäude, damals als Kreismuseum eröffnet. Seine Sammlungen sind durch zahlreiche Neuerwerbungen, Stiftungen und Leihgaben aus öffentlichem und privatem Besitz ständig gewachsen. Die einfühlsame Gestaltung der Roentgen- und Raiffeisen-Räume gibt dem Besucher die Möglichkeit, kostbare und historisch wertvolle Ausstellungsstücke zu entdecken. Bei schönem Wetter lädt nach dem Rundgang auch der romantische Museumsgarten noch zum Verweilen ein.

 Roentgen-Museum

Mehrmals im Jahr finden im ersten Obergeschoss des Museums überregional bedeutende Sonderausstellungen zu verschiedenen Themenbereichen statt. In den vergangenen Jahren konnten neben Schmuck-, Porzellan- und Möbeldesign aus verschiedenen Zeitepochen auch Werke bekannter Künstler wie Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Gerhard Altenburg präsentiert werden. Auch das renommierte, im Landkreis Neuwied beheimatete Künstlerehepaar K. O. Götz und Rissa sowie Jutta, Tom und Bernd Munsteiner aus Idar-Oberstein, die sich zu Schmuckdesignern von Weltruf entwickelt haben, stellten ihre Werke aus.. Diese Ausstellungen und begleitende Publikationen, zahlreiche Konzerte, Vorträge, Lesungen und Führungen lassen das Museum mit seiner schönen Atmosphäre und dem prächtigen Ambiente zu einem lebendigen Anziehungspunkt am Saum des Weltkulturerbes Mittelrhein werden.

Roentgen-Museum Neuwied
Raiffeisenplatz 1a
56564 Neuwied

Tel.: 02631/803 379
Fax: 02631/803 93 606

www.roentgen-museum-neuwied.de

Öffnungszeiten:

Dienstag-Freitag                                   11-17 Uhr
Sonntag                                               14-17 Uhr
(erweiterte Öffnungszeiten bei Sonderausstellungen)

Barrierefreie Erreichbarkeit aller Ausstellungsräume

Verkehrsverbindungen
Ca. 2 Minuten Fußweg vom Bahnhof Neuwied
Mit PKW Richtung Bahnhof und St. Elisabeth-Krankenhaus in Neuwied.

Eintrittspreise
Erwachsene      2,00 €
Schüler             1,00 €
Schulklassen    0,50 €/Pers.

Führungen nach Voranmeldung
Gebühren:  1 €/Pers. plus Eintrittspreis,  mindestens 15 € bei Gruppen bis 15 Pers.

Museumsführer, Begleitschriften und Kataloge zu Sonderausstellungen

Angebote der Museumspädagogik und Präsenzbibliothek

Die Museumspädagogik bietet nicht nur jungen Museumsbesuchern ein reichhaltiges Programm, das sich auf alle Abteilungen erstreckt. Nähere Informationen erhalten Sie bei der Museumsverwaltung.

 

Die Sparkasse Neuwied und der Förderkreis der Abraham und David Roentgen Stiftung e. V. unterstützen das Roentgen-Museum u.a. mit Ankäufen von Möbeln.

 

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