Denise Steger - Wolken teilen

Von Bernd Willscheid
20. März 2015

                             

Denise Steger gehört zu jenen Künstlerinnen, bei denen von Kindheit an der Berufswunsch feststand: Tanz und Malerei waren und sind ihr Leben. Unter dem Titel „Wolken teilen“ stellt sie zurzeit ihr umfangreiches bildnerisches Werk, hierzu gehören Gemälde, Kleinplastiken und raumgreifende Installationen, bis zum 12. April 2015 im Roentgen-Museum Neuwied aus. Ihr Werk ist hochkomplex und im doppelten Sinne des Wortes „vielfältig“. Sie stellt sich der Flut der Bilder in ihrem Kopf ebenso wie der enormen Mannigfaltigkeit dieser Welt, verwebt universales Wissen des Abendlandes und des Fernen Ostens mit ihren persönlichen Lebenserfahrungen. Die Bewältigung und Darstellung dessen braucht Ordnungssysteme – „Objektsysteme“ – die Zusammenhänge und Abhängigkeiten neu definieren und dem entsprechend Standpunkte und Perspektiven neu formulieren.

Vor die Entscheidung gestellt, Tanz oder Malerei zu studieren, wählte Denise Steger den Tanz, doch die Malerei war und blieb ihr treuester Begleiter. Bereits als Jugendliche schuf sie unzählige Skizzen einer Welt jenseits unserer Realität, Fabel-Wesen, in Interaktion auf einer lebendigen „Weltbühne“, die sie parallel zu ihrer Arbeit als Tänzerin seit 1975 in „Öl auf Holz“ festhielt. Zwei ihrer Bilder aus jener frühen Zeit wagt sie es, heute auszustellen, obwohl seinerzeit der Gedanke daran, ihre Werke der Öffentlichkeit zu präsentieren, noch sehr fern lag.

                  

Pferdchen, Öl auf Holz, 1975
Frauen, Öl auf Holz, 1975


Die Verklammerung von Tanz und bildender Kunst wird einmal mehr deutlich, als Denise Steger nach rund 10-jährigem Auslandsaufenthalt 1985 nach Deutschland zurückkehrt und als Performance-Künstlerin nicht nur ihre eigenen Choreografien, sondern auch Kostüm und Bühnenbild selbst entwickelt. Für die Tanzperformance „Herbst“, deren Ablauf durch die Fotoserie des Bonner Fotografen Fritz Reiss dokumentiert ist, schuf sie erstmals ein Kostüm aus gefalteten Papierobjekten.
Diese Objekte werden 30 Jahre ihrer Arbeit entscheidend bestimmen.

Die Auseinandersetzung mit diesen Objekten, die in Anlehnung an die japanische Religionsübung des Origami nach der Technik von Toshie Takahama aus drei Quadraten gefaltet und zu einem 5-eckigen geschlossenen Körper zusammengefügt werden, führten zu der Idee, sie auf die unterschiedlichste Weise in das bildnerische Werk als eine Art multipel einsetzbares „Modul“ einzuführen.

Die Elemente („Takahamas“), aus der Fläche heraus entwickelt, zu räumlichen Strukturen vernetzt und von dort wieder in Flächen zurückversetzt, lassen Bilder wie „Blue“, „Grey“ oder „Coral“, entstehen – ein „geordnetes“ Chaos, im Quadrat oder Rechteck gebannt und, obwohl auf den ersten Blick monochrom, in unzähligen Farb-Nuancen changierend.

 

Blue, Öl auf Papierobjekten, im Holzrahmen, 160 x 120 cm


Doch auch in der Kombination mit gemalten Bildern eröffnen sich neue Perspektiven, zum Beispiel zeigt das Bild „Erinnerungen an Hawaii“ eine Fülle kleiner Landschaftsaquarelle über lasierten Zeitungsausschnitten (Nachrichten aus der Heimat), gepaart mit farbig gestalteten Papierobjekten, bei dem der Betrachter unweigerlich Blütenknospen assoziieren kann, das Ganze durchzogen von weißen Ketten kleiner Elemente. Es ist ein lichtdurchflutetes heiteres Bild, das die Erinnerungen der Künstlerin an ihren Studien- und Arbeitsaufenthalt in Hawaii auf einer Fläche von 1 x 1 m zusammenfasst.

 

Erinnerung an Hawaii, Aquarell auf Papier und Papierobjekten, 100 x 100 cm


Die Natur und ihr Licht spielen auch in dem Bild „Sonnensteine“ eine entscheidende Rolle. Der ursprüngliche Entwurf war als ein Landart-Projekt geplant, wo es sich um die künstlerische Gestaltung eines ehemaligen Weinberghangs an der Mosel handelte: Hellgelbe Steinplatten – im Uhrzeigersinn angeordnet, gepaart mit grünen Flächen, dazwischen Pflanzen im jahreszeitlichen Wechsel. Dieser nie ausgeführte Entwurf fand seine Umsetzung im Bild, in dem durch Holzplatten und Papierobjekte die Realität abstrahiert wird und in dieser Form für sich selbst steht.

 

Sonnensteine, Öl auf Balsaholz und Papierobjekten, im Holzrahmen, 160 x 120 cm


Die erste raumgreifende Installation aus jenen Papierobjekten entstand 1988 im Zuge des so genannten „Wasserprojekts“, das von Mitgliedern des BBK Rheinland-Pfalz in Mainz initiiert wurde. Denise Steger beteiligte sich damals unter anderem mit der Tanzperformance „Vom Wasser zum Land“ und schuf zusammen mit der Glasgraveurin Claudia Mühlendyck eine ca. 20m² Bühnenlandschaft, in der tausende von in Wasserfarben bemalten Papierelementen zwischen gravierten und mit Blattgold hinterlegten Spiegeln gespannt wurden. Dem Betrachter eröffnete sich damals wohl eine faszinierende Unterwasserwelt.

 

Vom Wasser zum Land, Bühneninstallation, ca. 20m², Wasserprojekt Mainz 


Nach dem Wasser-Projekt entstand aus diesen Elementen die „große Kaskade“. Sie wurde im Rahmen der ersten großen retrospektiven Einzelausstellung von Denise Steger im Jahr 2000 im Treppenhaus des Bildungszentrums der Deutschen Lufthansa AG gezeigt. In einem weiteren Treppenhaus des gleichen Gebäudes entstand die Installation „Netztwerk“ aus tiefroten Objekten; auch sie war ursprünglich für eine Tanzproduktion vorgesehen. Beide Installationen sind in den folgenden Jahren räumlich und inhaltlich angepasst, „neu“ entstanden: Die Elemente der „Großen Kaskade“ wurden anlässlich der Ausstellung „Im Geist sakraler Architektur“ 2006 in der Linzer Martinskirche mit dem Titel „Platz besetzt für Kunst“ in Wellen über die Kirchenbänke gelegt. Und heute stellt sie im Treppenhaus des Roentgen-Museums ein eindrucksvolles Entrée dar.

 

Große Kaskade, Wasserfarbe auf Papierobjekten, Treppenhaus Roentgen-Museum Neuwied 2015


Die roten Elemente fanden als „Rosenkranzfeld“ in einer Bodeninstallation anlässlich der Ausstellung „Kunstbegegnungen in der Martinskirche“ 2004 eine neue Bestimmung, als „Lavastrom“ in der TUFA (Tuchfabrik)Trier 2003, als „Denkknoten“ in der Galerie Pamme-Vogelsang in Köln 2008, im Anschluss im Kunstraum Bad Honnef, dann, 2011 als „Rosenkranz“ in der großen Vitrine des Roentgen-Museums im Rahmen des Kultursommer-Projekts „Reliquion“ und heute wieder als „Denkknoten“.

                

Installationsvarianten

2003, zur Ausstellung in der TUFA Trier entstand die 12m² große Bodeninstallation „Von der Fläche zum Raum“. Sie bestand aus Papierobjekten, die dieses Mal in Grüntönen mit Lackspray überzogen wurden. Als Wandinstallation wurde sie im Roentgen-Museum Neuwied 2003, im Kunstraum Bad Honnef 2009, bei „Kunst Direkt“ (Künstlermesse) in Mainz 2012 und auf der Art´Pul (Künstlermesse Köln-Pulheim) 2014 mit dem Titel „Stille Kaskade“ gezeigt. Und zurzeit ist sie mit dem Titel „Wiesenfluss“ wieder im Roentgen-Museum als Bodeninstallation zu sehen.

 

Denkknoten und Wiesenfluss, Roentgen-Museum Neuwied 2015 (Foto: Dieter Rossbach)


Die Frage nach Menge und Zeit, die sich beim Betrachter aufdrängen, sind eher vordergründig, denn diese Objekte machen ja gerade Denk- und Herstellungsprozesse in der Kunst offensichtlich:
„…stehen für die Beharrlichkeit und Unermüdlichkeit des Schaffenden – stehen für die Zusammensetzung der Welt und der Natur aus kleinsten Elementen zu einem großen Ganzen, ständig veränderbar und anpassbar – stehen für das Dauerhafte gegenüber dem Flüchtigen, sind Konstante und Variable zugleich. Sie visualisieren vor allem die Zeit selbst und einen Begriff von Unendlichkeit.“

Ein weiterer Schritt in die Dreidimensionalität entwickelte Denise Steger, indem sie die Faltelemente in Gitter einspann. So entstand in den letzten 5 Jahren die Serie „Denkgitter“. Gitterroste und Baugitter bilden einen durchlässigen Bildträger und verleihen durch wechselnde Durchsichtigkeit Licht und Schatten neue Dimensionen.

 

Denkgitter II, Wandfarbe auf Papierobjekten und Leinen im Zinkgitter, 100 x 100 cm


Faltelemente, deren Technik inzwischen von der modernen Industrie über die Weltraumforschung bis hinzu zur Molekularbiologie eingesetzt wird, haben sich zu einer universalen Formensprache sowohl in Wissenschaft als auch in der Kunst durchgesetzt. Sie sind aber nur
ein Baustein, den die Künstlerin verarbeitet. Gegenüber diesem geschlossenen Modul öffnet sich ihre Welt der Bilder. Ihr eigener Motivschatz scheint unerschöpflich und doch greift sie immer wieder alte Vorgaben auf, paraphrasiert sie, stellt sie bewusst gegeneinander, sucht den Vergleich von Vormals und Heute, zum Beispiel in dem Objektsystem „Die Rückkehr des Kindes“. Unter und über einem „Objekt/ Lebensstrom“ sind, einem Filmstreifen gleich, Bilder aus dem Frühwerk der Künstlerin aufgereiht.

 

Die Rückkehr des Kindes, Objektsystem, Öl auf Holz und Leinwand, div. Objekte


Diese vielen Bilder stehen nicht für sich selbst, sondern werden unter thematischen Gesichtspunkten in einen Zusammenhang gestellt. Es obliegt dem Betrachter, Verknüpfungen herzustellen. So entstehen „Bilder mit Bildern und Objekten“ und „Bilder von Bildern“. All diese Bilder, die nur Fragmente eines Ganzen sind, und lediglich als Hinweisgeber gedacht, haben ihren eigenen Raum – einen Farbraum, der durch Liniengerüste geordnet ist. Daraus ergibt sich der spezifische und unverkennbare Stil der Malerei von Denise Steger.

Auch die Entwicklung dieses Stils ist in ihrer Biografie zu finden, da sie, als promovierte Kunsthistorikerin und Mittelalter-Spezialistin Bild- und Erzählstrukturen über Jahre hinweg verinnerlichte und auf ihre Art bis heute neu formuliert.

Ihr Gemälde „Passion“ zum Beispiel greift solche Erzählstrukturen bewusst auf. Auf einer 80 x 80 cm großen Holztafel, findet sich als Grundsystem die Form eines Kreuzes, die Leserichtung ist von unten nach oben gedacht und gibt in vielen kleinen Gemälden Szenen des alten und neuen Testamentes wieder.

 

Passion (Kreuzigung), Objektsystem, Mischtechnik auf Holz, 80 x 80 cm


In Bildern wie „Genesis“, „Baum der Erkenntnis“, „Abschied von der Erde“ und „Sehnsucht nach der Erde“ findet sich das Urthema vom Wachsen, Gedeihen und Verfall, auf einer Ebene, die als „Kommentar und visionärer Gegenentwurf zu unserer Welt“ bezeichnet werden kann, oder, wie Denise Steger selbst sagt:
„Die Bilder bergen Fragen nach dem Ursprung und nach dem Kommenden, danach, wie wir in das System der Welt eingebunden sind, wie viel Spielraum wir darin haben und wie wir mit diesem Spielraum umgehen.“

           

Genesis, Objektsystem, Mischtechnik auf Holz, 80 x 80 cm
Baum der Erkenntnis, Mischtechnik auf Holz, 80 x 80 cm

                     

Sehnsucht nach der Erde I und II, Öl auf Holz und Leinwand

 

Denise Steger – Wolken teilen

Ausstellung im Roentgen-Museum Neuwied
1. März – 12. April 2015
Raiffeisenplatz 1 a, 56564 Neuwied
Tel. 02631 803 379

Öffnungszeiten:
Di. – Fr. 11 – 17 Uhr
Sa., So. und Karfreitag 14 -17 Uhr
Samstags Eintritt frei
Montags geschlossen

www.roentgen-museum-neuwied.de

www.art-denise-steger.de

 

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