Von Denise Steger
24. April 2016
Es war im Jahr 1975, als ich als junge Tänzerin zum ersten Mal eine Choreografie von Pina Bausch in Wuppertal sah, die mich nicht nur nachhaltig beeindruckte, sondern auch wegweisend für meine eigene Arbeit wurde. Mit der damals dort gezeigten Tanzoper „Orpheus und Euridike“ (Musik: Willibald Gluck) etablierte Pina Bausch eine Synthese von Tanz und Oper, die der des „Tanztheaters“ vorausging. Sie entwickelte in den Folgejahren diese völlig neue Gattung, eine durch Menschlichkeit und künstlerische Größe geprägte Meta-Sprache, die ihr und ihrer Company weltweiten Ruhm und unzählige Ehrungen einbrachte. In der Bundeskunsthalle Bonn wird der 2009 verstorbenen Choreografin nun eine großartige, alle Facetten ihrer Arbeit berücksichtigende Show gewidmet, um dem Betrachter einen tiefen und selbst erfahrbaren Einblick hinter die Kulissen ihres Werkes zu eröffnen. Zur Einstimmung wird dem Besucher gleich zu Beginn der Ausstellung auf einer überdimensionalen Projektionsfläche Pina Bauschs Solo aus „Danzón“ (1995) vorgeführt.
Jochen Viehoff, Pina Bausch tanzt ein Solo in Danzón (Ausschnitte), Fotografie, © Jochen Viehoff
Als Leitfaden durch die Ausstellung diente den Kuratoren Salomon Bausch, Miriam Leysner und Rein Wolfs Pina Bausch´s Rede mit dem Titel „Etwas finden, was keiner Frage bedarf“, anlässlich der Verleihung des Kyoto-Preises an sie am 12. November 2007.
Hierbei kommt den Ausstellungsmachen zu Gute, dass die Choreografin Zeit ihres Lebens ein umfassendes Archiv angelegt hat. Dokumente und Videomaterial, die in der Ausstellung entsprechend großen Raum einnehmen, leiten den Besucher anhand von Fotos, Programmheften, Spielplänen, Plakaten, Zeitungsartikel und Filmausschnitten in die Vergangenheit, in die Zeit, als Pina Bausch als junge Tänzerin ihre ersten Erfolge feiert. Mit 15 Jahren nimmt sie ihr Tanzstudium an der Folkwang-Schule in Essen unter der Leitung von Kurt Joos auf. 1959 erhält sie ein Stipendium des DAAD und kann ihr Studium an der Juillard School of Music in New York fortsetzen und dort mit namhaften Vertretern der zeitgenössischen Tanzszene zusammenarbeiten, u. a. Martha Hill, José Limón und Antony Tudor, des weiteren als Tänzerin Erfahrungen sammeln in den Companien von Paul Sanasardo und Donya Feuer. 1961 wird sie für das „New American Ballet“ von Paul Taylor engagiert und arbeitet im Ballett des Metropolitan Opera House. 1962 kehrt sie nach Essen zurück, um als Solistin in dem unter Kurt Joos neu gegründeten Folkwang-Ballet zu brillieren. „Eigentlich wollte ich immer nur tanzen […] Wenn ich choreografiert habe, dann ging es immer darum, dass ich in diesen Choreografien etwas tanzen konnte, was mir wichtig war.“ (Zit. P. B.). 1968 choreografiert sie mit dem Stück „Fragmente“ erstmals für das Folkwang-Ballet; ein Jahr später gewinnt sie mit ihrer Choreografie „Im Wind der Zeit“ den internationalen Kölner Choreografie-Wettbewerb und übernimmt die Leitung des Folkwang-Tanzstudios.
Wilfried Krüger, Porträt Pina Bausch, Foto: Wilfried Krüger, © Pina Bausch Foundation
Pina Bauschs intensive Arbeitsmethode bestand im Wesentlichen darin, ihren Tänzern Fragen und Aufgaben zu stellen, ihre Improvisationen genau zu beobachten, um aus der Fülle des Materials ein Stück zu entwickeln. „Da gab es wohl irgendwo einen Ausgangspunkt – und wo das dann hingeht, das entwickelt sich in den Proben. Es ist nicht wie geplant – es kommt einfach, durch uns alle zusammen. Mit der Zusammensetzung der Gruppe hat vieles zu tun….“ (Zit. P. B.) Tief verwurzelt sind die Themen in der Psyche jedes einzelnen, Ängste, Liebesleid, Macht und Ohnmacht, Vereinsamung, Antagonismen der Geschlechter, zwischenmenschliches Unverständnis und daraus resultierende Verzweiflung, gesellschaftliche Tabus und Zwänge…
Zerrin Aydin-Herwegh, Aufführung des Pina Bausch-Stücks „Das Frühlingsopfer” ,Fotografie, © Zerrin Aydin-Herwegh
Pina Bausch fand in ihrer radikalen Sprache eine zwischen Mythos und Realität changierende Bilderwelt, deren elementare Wucht durch die Stilmittel der Repetition, Reihung und Parallelhandlung einen Verstärker fand. Unterstützt wurden ihre Inszenierungen unter anderem durch den Bühnenbildner Rolf Borzik (1944-1980), der Lebensräume schuf, oft geprägt durch natürliche Gegenstände wie Erde, Wasser, Bäume, Steine, Laub, deren haptische Wirklichkeit den Handelnden Erfahrungsraum verschaffte. Dies stellte aber auch eine ganz besondere Herausforderung für die Tänzer des Ensembles dar, die den Mut entwickeln mussten, sich selbst und ihren Körper permanent zu hinterfragen und neu auf die Probe zu stellen.
Laurent Philippe, Aufführung von Pina Bausch-Stücks „Vollmond”,Fotografie, © Laurent Philippe
Die Ausstellung gibt dem Ensemble in Videobeiträgen und großformatigen Fotografien den verdienten Raum, zeigt sowohl private Fotos als auch ausgewählte Bühnenaufnahmen aus unterschiedlichen Choreografien, so zum Beispiel aus „Café Müller“. Pina Bauschs Elternhaus in Solingen war nur ein Gebäude von diesem Café-Haus entfernt, in dem Pina schon als Fünfjährige während des Einkaufs Tanzschritte vorgeführt haben soll, und dem sie in ihrer Choreografie „Café Müller“ 1978 ein Denkmal setzte. Auch die schwarzen Holzstühle aus jenem Café sind in der Ausstellung verteilt und laden den Betrachter zum Verweilen ein, wo er sich in weitere Dokumente unter dem Glas der runden Cafétische vertiefen kann.
Blick in die Ausstellung, Foto: Kunst am Mittelrhein
In einem eigenen Raum lebt Pina Bauschs Bühnenarbeit durch sechs korrespondiere überlebensgroße Projektionen mit Aufführungsausschnitten ab dem Jahr 1973, die ihre charakteristischen Stilelemente zusammenfassen, in besonderer Weise auf, begleitet von einer Klangcollage aus den einzelnen Stücken, die eigens komponiert wurde.
Ein weiterer Focus in der Ausstellung sind die „Koproduktionen“, denn Pina Bausch entfaltete mit ihrem Tanztheater Wuppertal bis kurz vor ihrem Tod eine umfangreiche Reistätigkeit. In der Adaption von Bewegungs-, Klang- und Sozialstrukturen anderer Kontinente erwies sie sich als die ständig Suchende und schuf in der Durchdringung eine gemeinsame Sprache der Kulturen: Welttheater. In Zusammenarbeit mit Künstlern vor Ort schuf sie Stücke wie: „Der Fensterputzer“ (Hong Kong 1997), „Masurca Fogo“ (Portugal 1998), „Wiesenland“ (Budapest 2000), „Água“ (Brasilien 2003). Nefés (Istanbul 2003), „Ten-Chi“ (Japan 2004) und „Bamboo Blues“ (Indien 2007) und viele andere.
All diese Themenkomplexe kreisen um das Herzstück der Ausstellung – die so genannte „Lichtburg“ – eine original getreue Nachbildung des Experimentier- und Probenraums, den das Tanztheater Wuppertal in einem alten Kino etabliert hatte. Dieser jenseits der Bühne für den Zuschauer verborgene Raum wird hier geöffnet. Das Konzept der Bundeskunsthalle führt damit nicht nur den Leitfaden weiter, auch anderen Künsten als der Bildenden eine Plattform zu geben, sondern auch den Besucher aktiv partizipieren zu lassen. So kann er hier nicht nur den Proben des Wuppertaler Tanztheaters zuschauen, sondern auch selbst von den Tänzern Passagen aus der Choreografie „Nelken“ (1982 ) erlernen, Teil eines kontinuierlichen künstlerischen Prozesses werden und dem Werk und der Arbeit von Pina Bausch vertieft nachspüren. Außerdem werden Workshops für Profis und tanzinteressierte Laien sowie ein spezielles 30-minutiges „warm up“ für die Ausstellungsbesucher geboten, daneben Filmvorführungen, Diskussionsrunden und vieles mehr. Zu dem täglichen Programm in der Lichtburg ist ein separates Heft erschienen und kann auch über das Internet abgerufen werden.
Blick in die Lichtburg, Foto: Kunst am Mittelrhein
Zur Ausstellung ist die Publikation „O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden“, hrsg. v. Stefan Koldehoff und der Pina-Bausch-Foundation im Nimbus-Verlag erschienen.
Eine ausführliche Online-Biografie zu Pina Bausch findet sich im Portal Rheinische Geschichte des Landschaftsverbandes Rheinland:
http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten
Pina Bausch und das Tanztheater
Bundeskunsthalle, Bonn, 4. März-24. Juli 2016-04-24
Martin-Gropius-Bau, Berlin, 15. September 2016 – 9. Januar 2017