Von Sarah Möller
15. Mai 2016
Die Kapelle des Kölner Kurfürsten Clemens August in Tönisstein bei Andernach steht nicht mehr. Erhalten hat sich lediglich ihr Modell. Derzeit wird es an der Kölner Fachhochschule restauriert.
Die Tönissteiner Mineralquelle ist als handelsübliches Mineralwasser bekannt, abgefüllt in den typischen taillierten und genoppten Glasflachen in braunen Plastikkästen. Ihre genaue geographische Herkunft ist jedoch weniger geläufig. Tönisstein in der Nähe von Andernach war allerdings in früheren Jahrhunderten ein geschätzter Badeort, üppig bedacht von den Kölner Kurfürsten. Seit dem Mittelalter war der Ort mitsamt der Heilquelle durch eine Schenkung in ihrem Besitz. Erzbischof Clemens August, der von 1723 bis 1761 sein Amt innehatte, wollte aus dem verwunschenen Fleck ein komfortables Domizil für lauschige Sommertage in der Natur machen.
Schon seine Vorgänger hatten in Tönisstein ein Schloss und ein Brunnenhaus errichtet. Clemens August ließ die Anlage modernisieren und beauftragte einen namentlich nicht überlieferten Architekten mit dem Bau einer Kapelle. Diese ließ er wie einen antiken Tempel als Zentralbau errichten. Sie wurde 1759 geweiht.
Die Gestalt der kurfürstlichen Kapelle ist in einem kleinen Architekturmodell überliefert, das sich heute im Besitz des Andernacher Stadtmuseums befindet. Es zeigt die Kapelle als gemauerten Rundbau mit großen Fenstertüren und einer grauen Kuppel, an den sich eine fast quadratische Sakristei anschließt. Die Geschichte des Modells ist abenteuerlich. Bis 1858 war es eine Zeit lang im Andernacher Wirtshaus „Kurfürstenhof“ ausgestellt. In vielen Publikationen zur kurfürstlichen Bautätigkeit abgebildet, verlor sich dennoch seine Spur, und lange galt es als verschollen. Erst Vanessa Krohn konnte es im Rahmen einer Dissertation zu den kurfürstlichen Kirchenbauten an der Universität Bonn im Keller des Andernacher Stadtmuseums zwischen Bauschutt und Gerümpel wieder aufspüren. Krohn gab dann auch den Abstoß, das Modell restauratorisch auf Vordermann zu bringen und stellte den Kontakt zur Kölner Fachhochschule her.
Kapellenmodell Tönisstein, Foto: Sarah Möller
Dort widmet sich Sonja Fröhlich der Miniaturkapelle und will damit 2016 ihren Master in Restaurierung von Kunst und Kulturgut machen. Vorsichtig hatte sie zunächst Staub und Spinnweben abgesaugt und mit einem weichen Pinsel entfernt. Als nächster Schritt soll das Modell technologisch untersucht werden. Mit dem Mikroskop untersucht Fröhlich das Modell an kleinen Fassungsausbrüchen und entnimmt winzige Proben, um spätere Übermalungen zu identifizieren. Röntgenaufnahmen und Infrarotreflektografie sollen Aufschluss über die Konstruktion der Kapelle geben. Die winzigen Nägel, welche die Bauteile zusammenhalten, sind auf den Aufnahmen zu sehen. Reparaturen und eventuelle spätere Ergänzungen kann Fröhlich auf diese Weise unterscheiden.
Kapellenmodell Tönisstein, Foto: Sarah Möller
Die Zeit im Gewölbekeller des Andernacher Stadtmuseums hatte dem kleinen Bauwerk übel mitgespielt. Die Laterne auf der Kuppel ist verloren gegangen, die Kuppel selbst durchzieht ein klaffender Riss und einige der sorgfältig aus winzigen Glasscheiben und schmalen Leisten gefertigten Fenstergauben sind abgebrochen. „Absolut unnötig“, ärgert sich Kunsthistorikerin Krohn, „als ich 2011 das Modell in Andernach aufgestöbert habe, war die Kuppel noch nicht gerissen. Ich hatte damals darum gebeten, diesem wichtigen Zeugnis der barocken Baukunst im Rheinland einen sicheren Platz in den Räumen des Museums zu geben. Aber es ist nichts geschehen.“ Ob Fröhlich verlorene Teile wie die zerstörte Laterne ergänzen wird, ist fraglich. „Heute restaurieren wir viel zurückhaltender als noch vor 30 Jahren“, sagt sie. „Jede Ergänzung ist auch ein Eingriff in die originale Substanz des Objekts. Wir sind heute der Meinung, dass die Geschichte eines Objekts sichtbar bleiben soll.“ Viele Maßnahmen ergeben sich auch erst aus den ausstehenden Untersuchungsergebnissen. „Falls sich etwa herausstellen sollte, dass unter der heute sichtbaren Bemalung noch viel von der ursprünglichen Fassung befindet, müssen wir gut überlegen, ob wir sie nicht freilegen wollen“ erklärt Fröhlich.
Restaurierung Kapellenmodell Tönisstein, Foto: Sarah Möller
Nachdem Clemens August 1761 gestorben war, begann auch der Niedergang von Bad Tönisstein. Sein Nachfolger interessierte sich nicht für den abgelegenen Ort. Die Bauwerke verfielen und wurden nach und nach bis auf die Grundmauern abgerissen. Das kleine Kapellenmodell ist vermutlich das einzige, was von der barocken Anlage bis heute überdauert hat. Das sorgfältig angefertigte Miniaturbauwerk ist damit als historische Quelle von unschätzbarem Wert. „Wahrscheinlich handelt es sich um das einzige erhaltene zeitgenössische Modell eines kurkölnischen Barockgebäudes“, sagt Kunsthistorikerin Krohn.
Restaurierung Kapellenmodell Tönisstein, Foto: Sarah Möller
Erst Ende des 19. Jahrhunderts erwachte Bad Tönisstein wieder aus seinem zwischenzeitlichen Dornröschenschlaf. 1891 kaufte der Chemiker Dr. Carl Kerstiens die Mineralquelle und begann, ihr Wasser abzufüllen und als Heilwasser zu vermarkten. Die Familie Kerstiens ist bis heute im Besitz des Unternehmens, das zur größten Mineralwasser-Exportmarke avanciert ist. Die hochherrschaftlichen Besuche des Kölner Kurfürsten waren damals schon lange in Vergessenheit geraten und das letzte Zeugnis der Waldkapelle stand als Puppenstube in den Kinderzimmern der Freiherren von Bourscheid-Burgbrohl. Zumindest die Geschichte des Tönissteiner Kapellenmodells geht jedoch auch 2016 noch weiter. In diesem Jahr wird es, gereinigt und restauriert, in neuem Glanz erstrahlen.
Restaurierung Kapellenmodell Tönisstein, Foto: Sarah Möller